19

 

„Nett", stieß Nikolai mit verzerrtem Gesicht hervor. Er fühlte sich alles andere als nett, als er die Badezimmertür schloss und ins Wohnzimmer hinüberging.

Allein mit Renata zu sein, die nackt in der Wanne saß, sie zu berühren - sie zu küssen, verdammt noch mal -, hatte all seine Sinne in Aufruhr versetzt. Aber so erregt er auch war, sein enormer Ständer war seine kleinste Sorge, als er auf die Tür zuging, an die Jack erneut von außen klopfte. Fs war eine Sache, die Zeltstange in seiner Hose zu überspielen, und eine ganz andere, zu hoffen, dass niemandem auffiel, dass seine Augen brannten wie heiße Kohlen und dass er mit seinen Fangzähnen einen Rottweiler beschämen würde.

Wenigstens bedeckte das weite Hemd seine Glyphen.  Niko musste seinen Körper nicht sehen, um zu wissen, dass seine Stammeszeichen heftig in den tiefen Farben der Erregung pulsierten. Verdammt schwer, sie jemandem in diesem Zustand als Tattoos zu verkaufen.

Nikolai starrte die Tür an und musste all seine Willenskraft aufbringen, um wieder runterzukommen. Er musste das Feuer in seinen Augen löschen, und das bedeutete, dass er die Lust niederkämpfen musste, die Renatas Berührung in ihm entfacht hatte. Er konzentrierte sich darauf, seinen Puls zu verlangsamen. Verdammt schwer, wenn sein Schwanz das Kommando über seinen Blutkreislauf übernommen hatte.

„Hallo?", kam es in gedehntem texanischen Tonfall von draußen. Wieder klopfte Jack, der dunkle Schatten seines Kopfes bewegte sich auf der anderen Seite der zugezogenen Vorhänge in der Glastür. Er schien bemüht, seine Stimme diskret gedämpft zu halten. „Renata, bist du das, Liebes?

Seid ihr wach da drinnen?"

Scheiße. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihn hereinzulassen. Niko stieß ein leises Knurren aus und streckte die Hand nach dem Riegel aus. Er hatte Renata versichert, dass er den alten Mann nicht hart anfassen würde, aber alles konnte schon den Bach runtergehen, sobald er nur die verdammte Tür öffnete. Und wenn der Mann auch nur eine Spur von Argwohn erkennen ließ, würde er ihm sofort eine Gehirnwäsche verpassen.

Niko entriegelte das Schloss und drehte den Türknopf. Er wich vor dem Streifen Tageslicht zurück, das durch den Türspalt ins Zimmer fiel, und postierte sich hinter der Tür, als sie aufschwang.

„Renata? Kann ich eine Minute reinkommen?" Ein abgewetzter brauner Cowboystiefel trat über die Schwelle.

„Ich dachte, ich schau heute Morgen mal nach euch, bevor ich im Haus mit den Kids zu tun habe."

Als der Mann in abgetragenen Levi's und einem weißen Baumwollunterhemd eintrat, legte Nikolai die Hand auf die Tür und drückte sie zu, um den Morgensonnenschein auszusperren. Er maß den alten Mann mit einem Blick, nahm das zerfurchte Gesicht, die klugen Augen und die silbrige, militärisch kurz geschnittene Bürstenfrisur in sich auf. Er war ein Bär von Mann. Schon etwas schlaff um die Taille, etwas gebeugt um die Knie, aber seine tätowierten Arme waren sonnengebräunt und immer noch fest, und seine Muskeln sprachen eine deutliche Sprache: Jack mochte vielleicht alt sein, aber er war keiner, der vor harter körperlicher Arbeit zurückscheute.

 „Sie müssen Jack sein", sagte Nikolai und gab sich Mühe, so zu sprechen, dass seine Fangzähne hinter den Lippen verborgen blieben.

„Stimmt." Ein leichtes Nicken, als Nikolai einer ähnlichen Musterung unterzogen wurde. „Und Sie sind Renatas Freund ... sie, äh, ist letzte Nacht nicht dazu gekommen, mir Ihren Namen zu verraten."

Offenbar war das bernsteingelbe Glühen aus Nikos blauen Augen verschwunden, denn Jack hätte ihm nie und nimmer die Hand entgegengestreckt, wenn er in ein gespenstisches Augenpaar gestarrt hätte, das Funken versprühte wie ein Hochofen.

„Ich bin Nick", sagte er, fürs Erste wollte er lieber nahe an der Wahrheit bleiben. Er schüttelte dem ehemaligen Soldaten kurz die Hand. „Danke, dass Sie uns aus der Patsche geholfen haben."

Jack nickte. „Sie sehen heute Morgen schon viel besser aus, Nick. Freut mich zu sehen, dass Sie wieder auf den Beinen sind. Wie geht's Renata?"

„Ganz gut. Sie ist im Badezimmer."

Er sah keinen Grund, die Entzündung zu erwähnen. Es war unnötig, den wohlmeinenden Jack so zu beunruhigen, dass er von Ärzten oder Fahrten ins Krankenhaus anfing.

Allerdings sah Renatas Wunde wirklich nicht gut aus. Wenn der Heilungsprozess nicht bald ernsthafte Fortschritte machte, würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, als in die nächstbeste Notaufnahme zu fahren.

„Ich werde nicht fragen, wie sie sich dieses Loch in der Schulter eingehandelt hat", sagte Jack und beobachtete Nikolai genau. „In dem Zustand, in dem ihr beiden gestern Nacht wart, und weil ich einen offenbar gestohlenen Lieferwagen für medizinisches Gerät verschwinden lassen musste, würde ich darauf tippen, dass ihr mit Drogen zu tun habt. Aber ich weiß, dass Renata zu schlau ist für so was. Ich glaube keine Minute lang, dass sie sich in Drogengeschichten reinziehen lassen würde. Sie wollte mir nichts davon erzählen, und ich habe ihr versprochen, ich würde sie nicht bedrängen. Ich halte mein Wort."

Niko hielt dem festen Blick des alten Mannes stand. „Ich bin sicher, das weiß sie zu schätzen. Das tun wir beide."

„Ja", meinte Jack gedehnt; seine stählernen Augen verengten sich. „Aber eins würde mich doch interessieren.

Sie war die letzten paar Jahre verschollen ... hatten Sie was damit zu tun?"

Es war nicht als offene Anschuldigung formuliert, aber es war offensichtlich, dass sich der alte Mann Sorgen um Renata machte und nun den Eindruck hatte, dass ihr langes Verschwinden ihr nicht notwendigerweise gutgetan hatte.

Mann, wenn er wüsste, was sie durchgemacht hatte. Die Schussverletzung, die sie jetzt hatte, war nur die Spitze eines üblen sibirischen Eisberges.

Nikolai schüttelte den Kopf. „Ich kenne Renata erst seit wenigen Tagen, aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie recht haben - sie ist zu klug, um sich Drogenprobleme aufzuhalsen. Darum geht es hier nicht, Jack. Aber sie ist in Gefahr. Der einzige Grund, warum ich hier stehe, ist, dass sie gestern ihren Hals riskiert hat, um mich aus einer ganz üblen Lage herauszuholen."

„Klingt ganz nach Renata", meinte Jack, mit einer Miene irgendwo zwischen Stolz und Besorgnis.

„Weil sie mir zu Hilfe gekommen ist, ist man jetzt hinter uns her. Wir sind in Lebensgefahr."

Jack grunzte, als er zuhörte, die stacheligen Augenbrauen gerunzelt. „Hat sie Ihnen erzählt, woher wir uns kennen?"

„Ein wenig", sagte Niko. „Ich weiß, dass sie Ihnen vertraut und Sie respektiert. Sie sind früher für sie da gewesen und haben ihr schon ein paarmal geholfen."

 „Versucht  habe ich es. Renata wollte nie Hilfe von mir oder von irgendjemand anderem annehmen. Zumindest nicht für sich. Aber es gab eine Menge anderer Kids, die sie mir ins Haus gebracht hat, weil sie Hilfe brauchten. Sie konnte es nicht mit ansehen, wenn ein Kind Schmerzen hatte. Teufel noch mal, sie war selbst kaum mehr als ein Kind, als sie zum ersten Mal hier ankam. Sie hat sich die meiste Zeit abseits gehalten, war eine echte Einzelgängerin.

Sie hat keine Familie, müssen Sie wissen."

Nikolai schüttelte den Kopf. „Das habe ich nicht gewusst."

„Die Barmherzigen Schwestern haben sie die ersten zwölf Jahre ihres Lebens aufgezogen. Ihre Mutter hat sie als Baby im Waisenhaus der Kirche abgegeben. Sie hat ihre Eltern nie gekannt. Mit fünfzehn hatte sie die Nonnen schon verlassen und hat sich allein auf der Straße durchgeschlagen." Jack ging zu einem Aktenschrank aus Metall hinüber, der bei dem anderen Gerümpel stand, das in der Wohnung gelagert wurde. Er fischte einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und steckte einen Schlüssel in das Schloss auf seiner Vorderseite. „Jawohl, Renata war eine harte kleine Nummer, sogar am Anfang schon. Sie war mager und misstrauisch, hat immer ausgesehen, als könnte ein stärkerer Windstoß sie umhauen, aber dieses Mädel hatte ein Rückgrat aus Stahl. Hat sich von niemandem was gefallen lassen."

„Daran hat sich nicht viel geändert", sagte Nikolai und sah zu, wie der alte Mann die unterste Schublade aufzog. „Ich habe noch nie eine Frau wie Renata getroffen."

Jack sah ihn über die Schulter an und lächelte. „Sie ist was Besonderes, das kann man wohl sagen. Und störrisch ist sie.

Ein paar Monate, bevor ich sie zum letzten Mal gesehen habe, ist sie mit ganz zerschlagenem Gesicht hier aufgetaucht. Anscheinend war irgend so ein Betrunkener aus einer Bar getorkelt und wollte Gesellschaft für die Nacht. Er hat Renata gesehen und versucht, sie in sein Auto zu stoßen. Sie hat sich gewehrt, aber er konnte ihr ein paar harte Faustschläge versetzen, bevor sie es geschafft hat zu entkommen."

Nikolai stieß einen leisen Fluch aus. „Den Dreckskerl hätte man ausweiden sollen dafür, dass er mit seinen dreckigen Pfoten eine wehrlose Frau angerührt hat."

„Das habe ich auch gedacht", sagte Jack todernst, ganz der beschützerische Soldat. Er ging in die Hocke und zog einen Kasten aus poliertem Holz aus dem Aktenschrank. „Ich hab ihr ein paar Selbstverteidigungsgriffe beigebracht - nur die Grundlagen. Hab ihr angeboten, sie auf meine Kosten zu ein paar Kursen zu schicken, aber natürlich wollte sie nicht. Ein paar Wochen vergingen, und sie war wieder da und half einem anderen Jugendlichen, der keine Bleibe hatte. Ich habe ihr gesagt, dass ich was für sie hätte - ein Geschenk, das ich extra für sie gemacht hatte. Ich schwöre Ihnen, wenn Sie ihr Gesicht gesehen hätten, hätten Sie gedacht, sie hätte sich lieber in den Gegenverkehr gestürzt, als von jemand eine Freundlichkeit anzunehmen."

Es fiel Nikolai nicht schwer, sich diesen Gesichtsausdruck vorzustellen. Den hatte er, seit er Renata kannte, auch schon ein- oder zweimal gesehen. „Was haben Sie ihr denn geschenkt?"

 

Der alte Mann zuckte mit den Schultern. „Nichts Besonderes eigentlich. Ich hatte ein altes Viererset Dolche, noch von früher aus Nam. Ich hab sie zu einem Künstler gebracht, den ich kannte, er arbeitet mit Metall und hat mir die Griffe individuell gestaltet. Er hat in alle vier Griffe von Hand ein paar von den Stärken eingraviert, die ich in Renata sehen konnte. Ich habe ihr gesagt, das wären die Qualitäten, die sie zu etwas Besonderem machen und die ihr in jeder Lebenslage beistehen würden."

„Glaube, Ehre, Mut und Opfer", sagte Nikolai und erinnerte sich an die Worte, die er auf den Dolchen gesehen hatte, die Renata so viel zu bedeuten schienen.

„Sie hat Ihnen von den Klingen erzählt?"

Niko zuckte die Schultern. „Ich habe gesehen, wie sie sie benutzt hat. Sie bedeuten ihr viel, Jack."

„Das wusste ich nicht", erwiderte er. „Ich war überrascht, dass sie sie überhaupt angenommen hat, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie sie nach all dieser Zeit immer noch hat." Er zwinkerte schnell, dann machte er sich an der Schachtel zu schaffen, die er aus dem Aktenschrank gezogen hatte. Er öffnete den Deckel, und Niko erhaschte in dem filzgefütterten Kasten einen Blick auf dunkles Metall. Jack räusperte sich. „Hören Sie, wie ich vorhin schon sagte, ich werde nicht auf Details drängen, wo ihr beiden da hineingeraten seid. Es ist klar, dass ihr in ziemlichen Schwierigkeiten steckt. Ihr könnt hierbleiben, solange ihr wollt, und wenn ihr weiterziehen wollt, dann sollt ihr wissen, dass ihr nicht mit leeren Händen gehen müsst."

Er stellte den offenen Kasten vor ihm auf den Boden und schubste ihn in Nikolais Richtung. Darin lagen zwei makellose halbautomatische Pistolen und eine Schachtel Munition.

 „Sie gehören euch, wenn ihr wollt. Ohne weitere Fragen."

Niko hob eine der .45er auf und inspizierte sie anerkennend. Es war ein schöner, gut gepflegter Colt M1911. Wahrscheinlich noch aus Armeebeständen aus seiner Zeit in Vietnam. „Danke, Jack."

Der alte Soldat nickte ihm kurz zu. „Passen Sie nur gut auf sie auf."

Nikolai hielt seinem festen Blick stand. „Das werde ich."

„Okay", murmelte Jack. „Dann ist's ja gut."

Als er sich daranmachte aufzustehen, rief jemand von unten aus der Einfahrt seinen Namen. Eine Sekunde später dröhnten Schritte die Holztreppe zur Wohnung über der Garage hinauf.

Niko warf Jack einen scharfen Blick zu. „Weiß jemand, dass wir hier sind?"

„Nein. Aber das ist sowieso nur Curtis, eines meiner neueren Kids. Er repariert meinen vorsintflutlichen Computer. Wieder so eine verdammte Virusattacke." Jack ging zur Tür. „Er denkt, ich suche hier gerade eine Boot-CD.

Ich werde ihn los. Wenn Ihnen inzwischen was einfällt, was ihr beiden noch brauchen könnt, fragen Sie nur."

„Wie sieht es mit einem Telefon aus?", fragte Niko und legte die Pistole zu ihrem Gegenstück zurück.

Jack griff in seine Hosentasche, zog ein Handy heraus und warf es Nikolai zu. „Der Akku müsste noch ein paar Stunden Saft haben. Bedienen Sie sich."

„Danke."

„Ich schaue später wieder nach euch." Jack packte den Türknauf, und Nikolai wich reflexartig in den Schatten zurück, sowohl wegen des Tageslichts draußen als auch, um nicht von dem uneingeladenen Besucher gesehen zu werden, der inzwischen auf dem Treppenabsatz angekommen war. „Ich hab mich geirrt, Curtis. Ich hab überall nachgeschaut, aber da ist nirgends eine Boot-CD in meinen Kartons hier oben."

Niko sah den Kopf des anderen Mannes, wie er versuchte, um die Türkante zu spähen, doch Jack zog sie fest hinter sich zu. Füße polterten die Treppe hinunter, als Jack den Jungen nach unten begleitete.

Sobald er sicher war, dass sie gegangen waren, wählte Nikolai eine spezielle Einwahlnummer, die vom Bostoner Hauptquartier des Ordens unterhalten wurde. Er tippte Jacks Handynummer und einen Code, der ihn bei Gideon identifizieren würde, und wartete auf den Rückruf.

 

Um die Mittagszeit war in Vampirdomizilen normalerweise niemand mehr wach, aber keiner der sieben Krieger, die im Waffenraum des unterirdischen Hauptquartiers des Ordens versammelt waren, schien zu bemerken, wie spät es war - nicht einmal die Handvoll unter ihnen, die das Glück hatten, dass ihnen eine liebende Stammesgefährtin das Bett wärmte. Seit sie sich vor Tagesanbruch wieder versammelt hatten, waren die Krieger damit beschäftigt gewesen, den aktuellen Stand ihrer Mission durchzusprechen und ihre Zielvorgaben für die folgende Nacht zu bestimmen. Es war nichts Besonderes für sie, stundenlang Ordensangelegenheiten durchzusprechen, aber dieses Mal gab es keinen der üblichen markigen Sprüche oder das spaßhafte Gerangel um die besten Aufträge.

Im Schießstand des Ordens in ein paar Metern Entfernung wurden nacheinander fünf Pistolen abgefeuert, und die Zielscheiben aus Papier am anderen Ende zerstoben wie Konfetti. Der Schießstand des Ordens wurde eher zum Spaß benutzt als für ernsthaftes Training, da alle Krieger hervorragende Scharfschützen waren. Aber das hielt sie nie davon ab, gegeneinander anzutreten und sich dabei mächtig ins Zeug zu legen, damit keine Langeweile aufkam.

Heute war jedoch von alldem nichts zu spüren, nur der donnernde Lärm des Kugelhagels lag über dem Raum. Das Getöse war seltsam tröstlich, schon deshalb, weil es die Stille überdeckte. Das gesamte Hauptquartier vibrierte vor unterschwelliger Rastlosigkeit. Die Stimmung in den vergangenen sechsunddreißig Stunden war ernst gewesen, unterlegt von einer kollektiven, wenn auch unausgesprochenen Angst. Einer von ihnen fehlte.

Nikolai war immer so etwas wie ein Einzelgänger gewesen, der sein eigenes Ding machte, aber das bedeutete nicht, dass er unzuverlässig war. Wenn er sagte, dass er etwas tun oder irgendwo sein würde, konnte man sich verdammt noch mal darauf verlassen, dass er die Sache auch durchzog. Jedes Mal, ausnahmslos.

Und nun, da er eigentlich schon ganze anderthalb Tage aus Montreal zurück sein sollte, war Niko von der Bildfläche verschwunden und nicht zu erreichen.

 Sieht nicht gut aus,  dachte Lucan und spürte, dass er mit diesem Gefühl nicht allein war, als er die anderen Krieger ansah. Auch sie warteten auf Neuigkeiten von Nikolai und dachten mit Sorge daran, was ihm zugestoßen sein konnte.

Als Gen Eins und Gründer des Ordens im Mittelalter war Lucan der eigentliche Anführer dieses Kaders von modernen Vampirrittern. Sein Wort war hier im Hauptquartier Gesetz. In Krisenzeiten war es seine Reaktion, die - was auch immer geschah - die Marschroute für die anderen Krieger festlegte. Er war geübt darin, sich keine Sorgen oder Zweifel anmerken zu lassen, eine Fähigkeit, die in seiner Natur lag - dem Teil von ihm, der praktisch unsterblich war, dem mächtigen Raubtier, das seit über neunhundert Jahren auf dieser Erde wandelte.

Aber der Teil von ihm, der Mensch war - der das Leben umso mehr zu schätzen gelernt hatte, seit er im letzten Sommer seine Stammesgefährtin Gabrielle getroffen hatte -, konnte sich nichts vormachen: Der potenzielle Verlust eines weiteren Soldaten in diesem internen Stammeskrieg war schlichtweg eine Katastrophe. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Ordenskrieger, die von Anfang an dabei gewesen waren, und auch die neueren Mitglieder, die sich dem Kampf erst im letzten Jahr angeschlossen hatten, wie eine Familie für ihn waren. In dieser Zeit hatte sich so viel verändert. Nun lebten auch etliche Frauen im Hauptquartier, und einer der Krieger und seine Gefährtin - Dante und Tess - erwarteten in einigen Monaten ein Baby.

Für den Orden stand jetzt mehr auf dem Spiel als jemals zuvor. Sobald ein Übel besiegt war, erhob sich an seinem Platz bereits ein neues, mächtigeres. Innerhalb nur eines Jahres hatte sich die Hauptmission der Krieger verlagert: von der Jagd auf Rogues, um den Frieden zu sichern, zur Verfolgung eines gefährlichen Feindes, der sich unter den Augen der Öffentlichkeit viele Jahrzehnte lang versteckt gehalten hatte.

Ein Feind, der geduldig seine Strategie entwickelt hatte, während er sein todbringendes Geheimnis verborgen und auf die Gelegenheit gewartet hatte, es zu enthüllen. Wenn ihm das gelingen sollte, wäre nicht nur die Vampirbevölkerung in Gefahr, sondern die ganze Menschheit.

Es fiel Lucan nicht schwer, sich die Grausamkeit der alten Zeiten wieder ins Gedächtnis zu rufen, als die Nacht von einer Handvoll blutdürstiger Kreaturen aus einer anderen Welt beherrscht wurde, Kreaturen, die unglaublichen Schrecken und Tod verbreiteten. Sie hatten ihren Hunger wie Heuschreckenschwärme gestillt und Zerstörung hinterlassen wie die tödlichsten Marodeure. Lucan hatte es zu seinem Lebensziel gemacht, diese Ungeheuer auszulöschen, auch wenn das bedeutete, dass er den Ältesten erschlagen musste, der sein eigener Vater war.

 

Der Orden hatte den Krieg erklärt, die Schwerter ergriffen und war in die Schlacht gezogen, um sie alle auszulöschen ..

oder zumindest hatten die Krieger das damals geglaubt. Bei dem Gedanken, dass einer der Ältesten überlebt hatte, breitete sich in Lucans unsterblichen Knochen eine eisige Kälte aus.

Er sah die Krieger an, die an seiner Seite dienten, und spürte auf einmal sein Alter. Er wurde das Gefühl nicht los, dass man ihnen allen im letzten Jahr eine Prüfung auferlegt hatte - vielleicht die erste große Prüfung seit der Gründung des Ordens - und dass ihnen das Schlimmste noch bevorstand.

In düstere Gedanken versunken ging Lucan im Waffenraum auf und ab und bekam nicht mit, dass die Türen des Waffenraumes aufglitten, als Gideon in den Raum geeilt kam.

Die teuren Chucks des blonden Vampirs quietschten auf dem weißen Marmorboden, als er vor Lucan schliddernd zum Stehen kam.

„Wir haben Niko wieder", verkündete er mit sichtlicher Erleichterung. „Sein ID-Code ist gerade von einem Handy aus Montreal reingekommen."

„Wurde auch Zeit, verdammt noch mal", knurrte Lucan und ließ sich seine Besorgnis nicht anmerken. „Hast du ihn am Apparat?"

Gideon nickte. „Er hängt im Techniklabor in der Warteschleife. Ich dachte, du willst sicher persönlich mit ihm reden."

„Verdammt, und ob ich das will."

Einer der anderen Krieger, Tegan, der einzige andere Gen Eins-Vampir des Ordens, eilte im Laufschritt zu den fünf Männern im Schießstand hinunter und verkündete ihnen die Neuigkeit. Die Schüsse verstummten abrupt, und die Krieger im Schießstand - Dante und Rio, langjährige Mitglieder; Chase, der die Agentur im letzten Sommer verlassen hatte, um dem Orden beizutreten; und die beiden neuesten Rekruten, Kade und Brock, beide von Niko angeworben - legten ihre Waffen nieder und gingen hinter Tegan her, die Muskeln angespannt, grimmige Entschlossenheit im Blick.

Rio, einer der Krieger, die mit Nikolai am engsten befreundet waren, war der Erste, der etwas sagte. Sein vernarbtes Gesicht war angespannt vor Besorgnis. „Was ist da oben mit ihm passiert?"

„Bisher hat er mir nur die Kurzversion erzählt", sagte Gideon. „Aber es sieht ziemlich scheiße aus, angefangen mit dem Mord an Sergej Jakut vor zwei Nächten."

„Ach du Scheiße", murmelte Brock und fuhr mit seinen dunklen Fingern über sein kurz geschorenes, schwarzes Haar.

„Diese Gen Eins-Morde arten immer weiter aus."

„Also", fügte Gideon hinzu, „dabei ist das noch nicht mal das Schlimmste. Es war Niko, den sie für den Mord verhaftet und von der Agentur gefangen gesetzt haben."

„Ach du Scheiße", erwiderte Kade; seine blassen, silbernen Augen wurden schmal. „Du willst doch nicht sagen, dass er . ."

„Nie im Leben", sagte Dante, ohne eine Sekunde zu zögern.

„Ich hab zwar so meine Zweifel, dass er sich wegen Blutclub-Abschaum wie Jakut die Augen ausgeweint hat, aber nie im Leben hat Nikolai was mit seinem Tod zu tun."

Gideon schüttelte den Kopf. „Stimmt. Und es war auch kein Auftragskiller. Niko sagt, Jakuts eigener Sohn hat einen Rogue ins Haus gelassen, um seinen Vater zu töten. Dummerweise hat Jakuts Sohn Verbindungen zur Agentur. Sie haben Niko verhaftet und in eine Hochsicherheitsklinik gesteckt."

„Was?" Dieser Ausruf kam von Sterling Chase. Als ehemaliger Agent wusste er wie jeder andere Krieger im Raum, wie unangenehm ein Aufenthalt in einem der Rogue-Gefängnisse der Agentur werden konnte. „Wenn er so weit bei Bewusstsein ist, dass er anrufen kann, heißt das wohl, dass er inzwischen nicht mehr dort ist."

„Irgendwie hat er es geschafft auszubrechen", sagte Gideon, „aber ich kenne die Einzelheiten noch nicht. Ich kann euch aber sagen, dass eine Frau damit zu tun hat, eine Stammesgefährtin, die ein Mitglied von Jakuts Haushalt war.

Sie ist jetzt bei Niko."

Lucan gab keinen Kommentar zu diesen beunruhigenden Entwicklungen ab, obwohl seine finstere Miene Bände sprach. „Wo sind sie?"

„Irgendwo in der Stadt", erwiderte Gideon. „Niko war sich nicht sicher, wo genau, aber er sagt, für den Moment sind sie dort sicher. Und jetzt kommt der Knüller."

Lucan hob eine Augenbraue. „Zum Teufel, da ist noch mehr?"

„Fürchte ja. Der Typ, der Niko in die Hochsicherheitsklinik geworfen und persönlich seine Folterungen geleitet hat? Anscheinend hat der Dreckskerl in einem seiner gesprächigeren Momente eine Verbindung mit Dragos zugegeben."

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